Die in Düsseldorf lebende, weltweit arbeitende und lehrende Fotokünstlerin Corina Gertz setzt den Fokus in ihrem globalen Langzeitprojekt „Averted Portrait“ (Abgewendetes Porträt) auf Frauen in traditionellen Kleidungen und Trachten als Hüftbild in Rückenansicht vor monochrom schwarzem Hintergrund. Mit dieser bei allen Porträts wiederholten Anordnung, die Körperproportionen oder Hautfarben aus dem Blickfeld rückt, exponiert Gertz Kleidung und Attribute als kulturelle Konstanten, die in allen Regionen der Welt und über Generationen hinweg gleichermaßen Ausdruck von Individualität und Zugehörigkeit sind.
Im Frühjahr 2023 fotografierte die Künstlerin in Schwarzenberg, Oelsnitz, Schneeberg, Annaberg-Buchholz, Marienberg, Ehrenfriedersdorf und Freiberg zum ersten Mal für ihr weltumspannendes Fotoprojekt Männer in bergmännischer Paradekleidung aus unterschiedlichen Knappschaften und Bergbrüderschaften. In ihren Rückporträts fixierte die Künstlerin nicht nur ihre prächtige Kleidung, sondern auch die Symbole und Zeichen einer über Jahrhunderte gelebten Bildsprache und eines besonderen Selbstbewusstseins.
Der traditionsreiche Bergmannshabit der Wardeine, Schichtmeister oder Markscheider des Erzgebirges ist zwar wegen seiner miniaturisierten Darstellungen als Spielzeug, Weihnachtsschmuck und Nussknackern weltberühmt. Weniger bekannt ist jedoch, dass mit Epauletten, Posamenten und Stickereien verzierte Grubenkittel oder mit Federstutz und Wappen geschmückte Schachthüte weit mehr kommuniziert wird als die Insignien einer Parade- oder Arbeitskleidung. Der Habit verkörpert arbeitsteilige Praktiken und Klassen der Bergwerker und Hauer, Farben und Zeichen markieren die Zugehörigkeiten zu Revieren, Amalgamierwerken, Silber- und Saigerhütten sowie zur 1765 geründeten Kurfürstlich-Sächsischen Bergakademie in Freiberg. Der romantische Dichter Friedrich von Hardenberg, genannt Novalis, studierte hier zwischen 1797 und 1799. Das einzige überlieferte Porträt, gemalt von Franz Gareis um 1799, zeigt den Dichter in der Tracht der Bergakademisten.
(Text: Alexander Ochs, Kurator Purple Path Kulturhauptstadt Chemnitz 2025)
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